Eine Superwoman am Dach

Dachdeckerin auf Dach

„Frauen pflegen, Männer bauen“ – so lässt sich auch im Jahr 2021 die Situation am hiesigen Arbeitsmarkt beschreiben. Es ist die Ausnahme, auf einer Baustelle eine Frau anzutreffen – laut Statistik Austria sind es bloß 2,3 Prozent Frauen, die als Bauarbeiterin oder in ähnlichen ‚Männerberufen‘ tätig sind. Ähnlich auch die Zahlen in Deutschland und in der Schweiz. Eine, die sich dorthin nicht verirrt, sondern aus Überzeugung diesen Weg eingeschlagen hat, ist die Dachdeckermeisterin Jaqueline Gerschler aus Niedersachsen (Deutschland). Sie führt die Firma Gerschler Bedachungen in zweiter Generation, ist verheiratet und die Mutter zweier Töchter. In ihrem Blog, auf Instagram und auf Facebook teilt ‚Die Dachdeckerin‘ Eindrücke aus ihrem Arbeitsalltag. Sie ist damit Botschafterin für das Handwerk und zeigt nicht zuletzt, wie es ihr als Frau in diesen schwindelerregenden Höhen geht. LogicLine hat mit ihr über ihren Werdegang, Freuden des Berufsalltags und den Anstoß für die Berufswahl gesprochen.

Jaqueline Gerschler mit Firmenfahrzeug auf Baustelle
Jaqueline Gerschler ist Dachdeckermeisterin und Botschafterin für das Handwerk. Sie beschreibt ihren Beruf als „vielfältig, bekräftigend, durchdacht, facettenreich und chancengleich“.

Jacky, wie bist du zu deinem Beruf gekommen?
„Ich bin in diesem Beruf quasi groß geworden. Meine beiden Großväter waren Dachdecker bzw. Dachdeckermeister.“

Bist du Vorurteilen hinsichtlich deiner Berufswahl begegnet?
„Ja. Leider kann sich die ältere Generation nicht immer von ihrem ‚Männerwelt-Bild‘ lösen. Deswegen bekam ich immer wieder einige dumme Kommentare, wie ‚Verdienst du denn genauso viel, wie deine männlichen Kollegen?‘ oder ‚Richtig wuppen können doch nur Männer.‘ zu hören.“

Das ist hart. Und wie bist du damit umgegangen?
„Ich wollte herausfinden, ob dieser Beruf tatsächlich alleine für Muskeln gemacht ist und nicht für Hirn. Ich habe jedoch schnell herausgefunden, dass dieser Beruf weitaus mehr erfordert, als nur dicke Arme.“

Dann bitte beschreibe den Job Dachdeckerin mit fünf Adjektiven.
„Vielfältig – bekräftigend – durchdacht – facettenreich – und nicht zuletzt auch chancengleich.“

Was sind deine persönlichen Freuden im Berufsalltag?
„Wenn der Kunde sich so sehr über das Ergebnis freut und direkt die Rechnung begleicht, weil er so zufrieden ist.“

„Hört auf euch, probiert euch aus und entscheidet selbst.“

Die Dachdeckerin

Was ist der Grund, dass Frauen nicht so häufig Berufe, wie Dachdecker(in), Spengler(in) oder andere Bau- bzw. Handwerksberufe wählen?
„Es gibt noch immer so viele Vorurteile, die jungen Frauen Angst machen. Diese Vorurteile reichen soweit, dass sich Mädchen nicht einmal trauen, sich als Praktikantin zu bewerben. Jedoch ist ein Praktikum so wichtig, um sich selbst auszuprobieren und seine Stärken und Schwächen zu erkennen.
Und: Oftmals sind auch die Eltern das Problem. Indem sie ja nur ‚das Beste‘ für ihre Kinder wollen, raten sie den Mädchen oftmals von dieser Handwerks-Berufswahl ab. Doch: Hört auf euch, probiert euch aus und entscheidet selbst.“

Was würdest du dahingehend ändern, wenn du drei Wünsche frei hättest?
„1. Mehr Präsenz von Handwerk und dahingehende Ausbildungsmöglichkeiten an den Schulen.
2. Bessere Berufsvorbereitungen an allen Schulen –
auch hinsichtlich Praktikumsmöglichkeiten.
3. Mit mehr positiv-behafteter Werbung
Vorurteile für Handwerksberufe ausräumen.“

Wie vereinbarst du Beruf und Familie?
„Wie bei anderen berufstätigen Frauen stehen auch bei mir die Kinder an erster Stelle. Und ich organisiere mich von Woche zu Woche.“

Was ist dein Ausgleich?
„Spaziergänge mit dem Hund, Musik hören, Pilates und tanzen – das sind meine Hobbies und damit schaffe ich mir Balance im Leben.“

„Oftmals liegt die Kraft nicht nur in den Muskeln, sondern viel mehr im Willen, etwas zu schaffen.“

Die Dachdeckerin

Was empfiehlst du jungen Frauen, die vor der Berufswahl stehen?
„Seid achtsam mit euch: Was macht ich gerne, was liegt euch besonders und was wolltet ihr schon immer einmal ausprobieren. Und: Oftmals liegt die Kraft nicht nur in den Muskeln, sondern viel mehr im Willen, etwas zu schaffen. Jedes Instrument und jede Sportart braucht Übung oder Training. So ist es auch bei körperlicher Arbeit.“

Wie kannst du ihnen Angst oder Zweifel vor dem Einstieg in einen ‚Männerberuf‘ nehmen?
„Das sind alles nur Menschen. Und egal ob Mann oder Frau – alle hatten mal ihren ersten Tag. Das sollte man fest vor Augen haben und sich selbst nicht klein reden.“

Ganz allgemein: Was ist dein Tipp für alle Frauen in ‚Männerberufen‘?
„Seid schlagfertig und lasst euch nicht die Butter vom Brot nehmen. Vor allem dann nicht, wenn einer ‚von der alten Schule‘ glaubt, er müsse euch seine Vorurteile kund tun. Bleibt bei euch und denkt positiv über euch selbst.“

Hand aufs Herz: Wenn du nochmals vor deiner Berufswahl stehen würdest, würdest du etwas anders machen?
„Ich habe meine Erfüllung gefunden, da ich mich selbst organisieren und mich kreativ ausleben kann. Zudem habe ich Kontakt zu vielen netten Menschen. Also: Nein, ich würde alles wieder so machen.“

Herzlichen Dank für dieses Interview und deine offenen Worte!

Dachdeckerin Jaqueline Gerschler bei der Arbeit
Die Dachdeckerin: „Ich habe in meinem Job die Erfüllung gefunden. Ich würde alles wieder so machen.“

Linda Miletich

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